Im Halböffentlichen / In the semi - public
Die Gärten direkt am Kanal wurden als eine Art Vorzeigeprojekt angelegt, um die Funktionalität und das Wohlbefinden der glücklichen Arbeiter zu demonstrieren, die im Moloch der Industrialisierung ein Stück gestaltete Natur erhielten. Diese Art der Zurschaustellung als aktive Konstruktion von Wirklichkeit kommt makaber daher, wenn man bedenkt, dass die Aktiengesellschaft Baumwollspinnerei weite Landstriche um Sadani, im heutigen Tansania, kultivierte und eine imaginäre, aber sehr materielle Ordnung von Dingen und Wesen ausführte, indem sie vorher bestehende Beziehungen und Intra-aktionen gewaltsam abschnitt.Welche Art von Funktionen und Ordnungen stellen wir selbst im alltäglichen Leben in Verhaltensweisen, in der Gestaltung von Räumen und in der Sprache dar, indem wir die De/Kolonialität reproduzieren (Mignolo 2018)? Wie unterbrechen wir sie in Anbetracht der Tatsache, dass die Bühne und der Zustand des Ausgesetztseins nicht auf den Bereich des Theaters beschränkt ist, sondern etwas ist, das alle Dinge und Materien durchdringt – ein endloses Drama – in einer Gesellschaft, in der der „programmierte Zufall“ ein gängiger Begriff in jeder Art von Architektur ist? Schon die Spinnerei der Frühindustrialisierung löste den privaten Bereich auf, indem sie jede Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter zeitlich und räumlich plante und organisierte.
Im Halböffentlichen / In the Semi - Public
EN
The gardens right by the Kanal had been built as a sort of display, demonstrating functionality and well-being of the lucky workers who obtained a piece of designed nature within the moloch of industrialization. This kind of display as an active construction of reality comes in rather macabre considering that the Aktiengesellschaft Baumwollspinnerei was cultivating vast stretches of land around Sadani, in what is Tansania today in the former colonies, efforts to execute an imaginative order of things and beings cutting of pre-existing relations and intra-actions., What sorts of functions and orders do we ourselves display and enact in everyday life within behaviours, building of spaces and language, reproducing the production of colonial reality construction and how do we intra-rupt them considering that the stage and the state of being exposed is not something limited to the realm of theatre but something that traverses all matters and mattering. (The endless drama). In a society where “programmed coincidence” is a common term in any sort of architecture. The Spinnerei factory of early industrialization already dissolved the private realm by planning and organizing by means of time and space every move of the workers.
Über den Audio-Player hören Sie das Kapitel „Exkurs über Raum und Zeit als gesellschaftliche Ordnungsprinzipien” aus Lenk`s Buch „Die unbewußte Gesellschaft. Über die mimetische Grundstruktur in der Literatur und im Traum”(Matthes & Seitz. Batterien 19. München 1983).
Das Buch entstand aus der Beschäftigung mit dem Verhältnis von Traum und Literatur (Literatur und Gesellschaft/Traum und Wachen) und untersucht die Traumform als Ursprung der menschlichen Subjektivität. Im Verlauf des Textes formuliert sie Traumform und Subjektivität als ein und dieselbe Sache. Diese Sache destabilisiert die Erzählung einer angeordneten, sich anhäufenden Zeit. Sie beschreibt die (geteilte) Subjektivität als fließende lebendige Raumzeit, welche keine Unterscheidung von Raum und Zeit kennt. Erst die Trennung der Raumzeit produziert die Isolation von Innen und Außen als entgegengesetzte und unvereinbare Dichotomien.
Die Gärten der Baumwollspinnerei veranschaulichen das beschriebene Vorgehen. Das Platzieren und Konstruieren im vermeintlich leeren Raum der industriellen “Urbarmachung”. Der Raum wird hierarchisch in einer in sich isolierten Logik von Effizienz und Kontrolle angelegt, welche das menschliche Subjekt konsequent als arbeitendes
Subjekt im Verhältnis zur Produktion/Leitung hin organisiert. Die Unternehmungen der Baumwollspinnerei im heutigen Tansania applizierten in ähnlicher
Form die Fiktion des “leeren Raumes”. Das “Wilde” wurde urbar gemacht ungeachtet der tatsächlichen Fülle von bestehenden Beziehungen und Lebewesen.
Soundfile aus der Ausstellung
Text Elisabeth Lenk, vorgelesen von L. Pfalzer
EN
Irene: It was a sunny afternoon in July. We had invited scholars and students to come to the garden to participate in a performance entitled In the semi-public, last event in the lecture series Beyond debates: de/colonial practices in and across academia, jointly organized by the Institute of African Studies and the Institute of Anthropology, When I entered the garden, the guests had not arrived yet. I felt the calm, the mild weather and the perfect light illuminating that space. I breathed. In the shade of the arbor.
DE
Irene: Es war ein sonniger Nachmittag im Juli. Wir hatten Wissenschaftler und Studierende in den Garten eingeladen, um an einer Performance mit dem Titel „In the semi-public“ teilzunehmen, der letzten Veranstaltung der Vortragsreihe „Beyond debates: de/colonial practices in and across academia“, die gemeinsam vom Institut für Afrikastudien und dem Institut für Anthropologie organisiert wurde. Als ich den Garten betrat, waren die Gäste noch nicht da. Ich spürte die Ruhe, das milde Wetter und das perfekte Licht, das diesen Raum erhellte. Ich atmete auf, im Schatten der Laube.
KNACK Garten Dezember 2022
Hinweisschilder mit QR-Codes verweisen auf die Internetseite und
auf die Ausstellung im Archiv Massiv der Spinnerei Leipzig